Wenn
die Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie
nicht nur angenommen, sondern als Bedingung einer nachhaltigen
Umweltnutzung gefordert
wird, ist eine kritische Auseinandersetzung mit einer ausschliesslich
Profit orientierten und Wachstum maximierenden Ökonomie
dringend geboten. Dies auch vor dem Hintergrund der Agenda
21 (Rio de Janeiro, 1992) sowie der Johannesburg-Deklaration
551KB
(2002 - deutsch / BMU),
in denen explizit eine nachhaltige und umweltverträgliche
Entwicklung eingefordert wird, in welcher Menschen dieser
und folgender Generationen weltweit einen Anspruch haben auf
ein gesundes, produktives und würdevolles Leben im Einklang
mit der Natur.
Die
Umsetzung dieser Forderungen lässt jedoch nach wie vor
sehr zu wünschen übrig. Dies hat sicher auch
damit zu tun, dass das "Spannungsverhältnis von
Ökologie und Ökonomie" auf grundlegend unterschiedliche
Einschätzungen von Selbstverständnissen, Funktionen
und Bedeutungen der Menschen zurückgeht.
Schon
Mitte des 20. Jahrhunderts wusste der grosse Ökologe
Aldo Leopold (1887 - 1948), "ein Erhaltungssystem, das
allein auf den ökonomischen Eigennutz setzt, ist hoffnungslos
einseitig. Es neigt dazu, viele Elemente der ländlichen
Gemeinschaft zu ignorieren und damit schliesslich auszuschalten,
die keinen kommerziellen Wert haben, die aber (soweit wir
wissen) für ihr Wohlergehen lebenswichtig sind."
(Aldo Leopold, 1949: A Sand County Almanac.- Ballantine, New
York, S.25.- Zit. in: Global 2000, Der Bericht an den Präsidenten,
S. 699)
Für
die internationale Umweltplanung sowie ressourcenbezogene
Forschung ist daher - neben der sehr detaillierten
Kenntnis der jeweiligen naturräumlichen Bedingungen
- nicht nur die Berücksichtigung, sondern vor allem
die Akzeptanz
von traditionellen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Voraussetzung
(vgl. nächsten Absatz!) für den ge- sowie erwünschten
Wissenstransfer bzw. jegliche effiziente Entwicklungszusammenarbeit
(EZ). Jedem Akteur der EZ sollte bewusst sein, dass die Massstäbe
für Fairness, Moral und Ethik kulturbedingt und vielfältig
sind
(d.h. von Kultur zu Kultur verschieden, cf. Fehr
et al. 2002). Und bzgl. Kommunikation, Selbsteinschätzung
und Definitionshoheit sollte eigentlich nicht erwähnt
werden müssen, dass Kulturen in ihren jeweiligen Umwelten
eine eigene Geschichte haben und absolut gleichberechtigt
sind.
Die
ganz wesentlich von ökonomischen
Zielvorstellungen motivierten Aktivitäten der Geberländer
haben viel zu häufig den eigenen Bedürfnissen grössere
Priorität gegeben als denen der Nehmerländer, was
sich überdeutlich im "'Washington
Consensus" manifestierte (im Wesentlichen Dreiklang
aus Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung).
Die
Demokratisierungsrhetorik und die damit einhergehende "Leidenschaft
für freie Märkte" (vgl. Noam
Chomsky, 2000, in "Profit over People" und andere)
waren und sind fast immer verbunden mit einem Werteexport
der Geberländer (sogen. "soft power" Instrumente)
und der Ignoranz, Intoleranz und Arroganz gegenüber genuinen
Wertvorstellungen in Nehmerländern. Und bzgl. der angeblichen
"Unterstützung" merkte Jean
Ziegler (u.a. UN-Sonderberichterstatter) sehr zu recht
an: "Es kommt nicht darauf an, den Menschen der Dritten
Welt mehr zu geben, sondern ihnen weniger zu stehlen"
(vgl. Das
Imperium der Schande ... , Bertelsmann Verlag 2005, und
Der
Hass auf den Westen..., Bertelsmann Verlag 2009).
Dass
sogenannte 'Entwicklungspolitik' hauptsächlich den Eigeninteressen
der Geberländer dient, wurde 2008 von Jörg Goldberg
in seiner fundierten Recherche mit dem Titel "Afrika
im globalen Kapitalismus - Ein Kontinent zwischen Überleben
und Entwicklung." eindringlich beschrieben.
Konkret
könnte dies heissen, dass z.B. für die Entwicklung
eines nachhaltigen und ökologisch angepassten Landbaus
in den von den United
Nations (aus der Perspektive der 'entwickelten Industrieländer')
sogenannten LDCs (least developed countries), LLDCs (landlocked
developing countries) bzw. LICs (low income countries) sowie
TDCs (transit developing countries) die Berücksichtigung
der Erfahrungen und des Wissens vieler Generationen der einheimischen
Bevölkerung und die Berücksichtigung der "speziellen
ökonomischen und politischen, religiösen und kulturellen
Zwänge vor Ort" (cf. Pimm
& Jenkis 2005: 78) Voraussetzung für jeglichen
Erfolg der EZ ist.
Aus
ökologischer Perspektive ist darüber hinaus
im wirtschaftsorganisatorischen Bereich
- ausdrücklich
auf Nachfrage- und Opportunitätsorientierung zu achten
(im Gegensatz zur Ressourcen verschwendenden und Konsum
maximierenden Angebots- und Durchführungsorientierung)
(cf. Berthold
Kuhn 2001
- "Erfolgreiches Management von Entwicklungskooperation
- Europas Beitrag zu einer globalen Herausforderung".
[steht
leider nicht mehr zur Verfügung: zuletzt aufgerufen
17.11.2005]
Die
auf neoliberalem Druck von multilateralen Institutionen,
vor allem aber internationalen Bank-Konglomeraten (z.B.
World Bank, International Monetary Fund [IMF], tw World Trade
Organisation [WTO] vorher GATT, aber auch der "privately
owned Federal Reserve" [FED] - vgl. Wikipedia
[Hinweis]
und diversen Entwicklungsbanken) sowie transnationaler Unternehmen
durchgesetzen (auch oktroyierten) Strukturanpassungsmassnahmen
(structural
adjustment policies - SAPs) in Verbindung mit der Forderung
nach häufig unfairer und einseitiger Öffnung der
Märkte (z.B. durch die World Trade Organisation - WTO),
haben zu immensen sozialen Problemen (vor allem Verschuldung
der Länder, Armut und Entwurzelung der Einzelnen,
Zusammenbruch des Gesundheitswesens und der schulischen Grundausbildung
etc.), aber auch ökologischen Problemen (Monokulturen,
Entwaldungen, Bodenzerstörungen) in weiten Teilen der
sogen. "Dritten Welt" geführt. Die Export orientierten
Grossplantagen zur Agrosprit
-, Futtermittel-, oder auch Billigfleisch-Erzeugung für
die Märkte der nördlichen Hemisphäre sind unrühmliche
Beispiele.
Verschlimmert
wird die Situation nun noch durch die internationale Spekulation
mit Nahrungsmitteln und durch zunehmende Inbesitznahme
(Kauf, Pacht) von fruchtbaren Agrarflächen in Entwicklungsländern
(sogenanntes "land
grabbing").
- "Das
jüngste Weltwirtschaftsforum in Davos diskutierte über
die Frage: »Wird der Boden bald teurer als Öl?«
Geleitet wurde die Runde vom Bonner Agrarforscher Joachim
von Braun, der eine Zuspitzung der Lage erwartet. »Staaten,
die wenig Wasser- und Nahrungsmittelressourcen haben, wollen
sich nicht mehr auf den Welthandel verlassen und kaufen
nun in Entwicklungsländern Land, um ihre Versorgung
zu sichern«, sagt er. »Innerhalb von zwei Jahren
hat das zum Aufkauf oder zur Pacht von Land von mehr als
der Ackerfläche Deutschlands geführt.«"
(Zitat
aus DIE ZEIT vom 13.2.2010, von Anna Marohn, unter dem Titel
"Land
für die große Spekulation".
[date
of last access: 09.10.2018]
Hinzu
kommt aktuell die Weltwirtschaftskrise als Folge der Banken-
und Finanzkrise, ausgelöst durch Spekulationsexzesse,
ungezügelte Habgier und grenzenlosen Egoismus, hauptsächlich
in den Kathedralen des (Raubtier-)Kapitalismus einiger Industrieländer.
Betroffen sind am stärksten die schwachen Volkswirtschaften
der sogen. "Dritten Welt". Die schlimmen Folgen
sind Massenarbeitslosigkeit und Hunger, d.h. hier ist mit
einer humanitären Katastrophe zu rechnen, wie das Bundesentwicklungsministerium
(BMZ) befürchtet.
- Eine
nachhaltige und umweltverträgliche Entwicklung ist
unter den genannten Bedingungen nahezu unmöglich.
- Des
weiteren zeigte sich wiederholt, dass ökonomische Grundsätze
der sogen. "Ersten Welt" nicht einfach von einer
Kultur auf die andere übertragbar sind (vgl. Sie zu
dieser Problematik
WEED
- Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung mit
diversen Beiträgen).
Wer
nur ein wenig über den Tellerrand der traditionellen
(westlichen) Ökonomie schaut, wird erkennen, dass
die reduzierte Kunstfigur des rationalen und egoistischen
Homo oeconomicus utilitaristischer Einseitigkeit -
als wirklichkeitsfremde (Aus)Geburt westlichen Denkens - ein
höchst fragwürdiges Modell ist. Es entpuppt sich
als eine suggerierte Wirklichkeit interessierter Kreise (z.B.
einiger neoliberaler Wirtschafttheoretiker?), als nützliche
Fiktion.
- Erkenntnisse
der Entscheidungs- u. Spieltheorie beweisen zunehmend einen
Homo sociologicus, für den Dauerhaftigkeit und
Dichte sozialer Netzwerke auf den intrinsischen Werten Vertrauen'
und 'Verantwortung' gegründet sind - Vertrauen
und Verantwortung (auch in der EZ), denen moralisch verpflichtende
Normen innerhalb der Gemeinschaft zugrunde liegen;
wo Teilen und Helfen, Gleichheit und
Gerechtigkeit bedeutende und der rücksichtslose,
egoistische Utilitarismus abgelehnte Werte sozialen Verhaltens
sind. "Zunehmend entzieht (damit) die Spieltheorie
dem (allzu) schlichten anthropologischen Modell der klassischen
Ökonomie den Boden." (Julian
Nida-Rümelin in der FAZ vom 04.04.2002).
Damit
wird allerhöchste Zeit, sich der experimentellen Wirtschaftsforschung
(auch "Moderne Mikroökonomie") zuzuwenden,
z.B. vertreten von Reinhard
Selten oder
Ernst
Fehr.
Ihre Forschungen zeigten, dass menschliches Verhalten wesentlich
von sozialen Normen und Bezügen, von Werten und von Reziprozität
geprägt ist. Wirtschaft aus dieser Perspektive muss in
keinem Gegensatz zu einer ökologisch begründeten,
d.h. auf Nachhaltigkeit zielenden Nutzung unserer Umwelt stehen.
[date
of access: 30.04.2005]
Auch
kann ökologische Komplexität mit dem linearen
und vereinfachenden (technokratischen) Ursache-Wirkung-Denken
vieler Ökonomen nicht verstanden werden. In unserer Umwelt
haben wir es mit vielfältigen kybernetischen Wechselwirkungen
zu tun, die zurzeit wohl nur systemtheoretisch am besten beschrieben
werden können (vgl. Sie
Ludwig von Bertalanffy 1990 und
Frederic Vester 2002). Durch Aufhebung starrer Betrachtungsweisen
wird hier in der LV wenigstens ansatzweise versucht, diesem
Umstand Rechnung zu tragen.
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Vergleichen
Sie zum Thema:
Studies
in Ecological Economics -
[date
of last access: 09.10.2018]
Zum
sogenannten "freien Markt" und seinen Folgen etc.:
- Becker,
H.A. & F. Vanclay (2003, edit.) The
International Handbook of Social Impact Assessment.- Edward
Elgar Publishing. (352pp, £95)
- Enzensberger,
Hans Magnus und Karl Markus Michel (Hrsg., 1973) Ökologie
und Politik oder Die Zukunft der Industrialisierung.- Kursbuch
33, Rotbuch Verlag, 187 S.
Themen:
- Zur
Kritik der politischen Ökologie,
- Die
technokratische Ökologie,
- Die
Bevölkerungsbombe ist ein Rockefeller-Baby,
- USA:
Der ökoindustrielle Komplex,
- BRD:
Profitschmutz und Umweltschutz,
- Japan:
Die Vorhut der ökologischen Katastrophe,
- Marx
und die Ökologie,
- Kursbogen:
Kurzer Lehrgang zur Geschichte der Umwelt.
- George,
Susan (1990) A Fate Worse Than Debt.- Grove Weidenfeld,
New York.
- "Debt
is an efficient tool. It ensures access to other peoples
raw materials and infrastructure on the cheapest possible
terms. Dozens of countries must compete for shrinking
export markets and can export only a limited range of
products because of Northern protectionism and their
lack of cash to invest in diversification. Market saturation
ensues, reducing exporters income to a bare minimum
while the North enjoys huge savings. The IMF cannot
seem to understand that investing in
[a] healthy,
well-fed, literate population
is the most intelligent
economic choice a country can make." (pp. 143,
187, 235)
Susan
George in Wikipedia
- Goldberg,
J. (2008) Überleben im Goldland - Afrika
im globalen Kapitalismus.- Neue Kleine Bibliothek 135, 249
S..
- "Die
Entwicklungspolitik der Industrieländer, euphemistisch
als Entwicklungszusammenarbeit (EZ) bezeichnet, besteht
nur zum Teil und zwar zum weniger wichtigen
aus Entwicklungsfinanzierung. Tatsächlich wurden
und werden mit der EZ politische Konzepte transferiert.
Je ärmer und abhängiger die Entwicklungsländer
sind, desto weniger können sie die als Beratung
und Politikdialog angebotene Unterstützung
ablehnen, schreibt Jörg Goldberg in seinem neuen
Afrika-Buch" (aus Besprechung in WEED), Verlags-Besprechung
. [date
of access: 09.10.2018]
- Haas,
P.M. (2003, edit.) Environment in the New Global Economy.-
Edward Elgar Publishing. (2 Vol., 1304pp, £295)
- Klein,
Naomi (2006) "Die Schock-Strategie".- Fischer
Verlag, Frankfurt am Main, 763 Seiten.
"Der
Terror des freien Marktes", eine Rezension des
Buches von Johannes
Kaiser in DeutschlandRadio Kultur am 09.10.2007.
- Perkins,
John (2005) "Bekenntnisse eines Economic Hit Mann
- Unterwegs im Dienst der Wirtschaftsmafia".- Verlag
Riemann München, 382 Seiten.
Rezension
des Buches in DeutschlandRadio Kultur von Johannes Kaiser
am 20.04.2005.
- Plagemann,
Johannes & Henrik Maihack (2023)
"Wir
sind nicht alle - Der globale Süden und die Ignoranz
des Westens".- C.H. Beck (249 Seiten)
- "Der
Westen ist nicht mehr der Nabel der Welt. Stattdessen
treten die Staaten des Globalen Südens mit neuem
Selbstbewusstsein auf. Was sind ihre Interessen, Motive
und Sichtweisen? Warum teilen sie die Sichtweise des Westens
nicht, zum Beispiel gegenüber Russland? Dieses Buch
zeigt die Unterschiede der Wahrnehmung internationaler
Politik im Westen und im Globalen Süden auf. Ein
besseres Verständnis dieser Unterschiede wird immer
drängender, je mehr die USA und Europa an ihrer einstigen
Dominanz verlieren. Das Buch diskutiert, warum die Staaten
des Globalen Südens so handeln, wie sie es tun, warum
deren Skepsis gegenüber dem Westen so tief sitzt
und warum in der neuen Vielfalt auch Chancen liegen
...". (aus
WWW Einführung Verlag C.H.Beck)
[date
of access: 09.10.2023]
- Ziegler,
Jean (2002) Wie kommt der Hunger in die Welt? - Goldmann
Verlag .
- Ziegler,
Jean (2005) Das Imperium der Schande - Der Kampf gegen
Armut und Unterdrückung.- Bertelsmann Verlag (€
19,90)
- Ziegler,
Jean (2009) Der Hass auf den Westen - Wie sich die armen
Völker gegen den wirtschaftlichen Weltkrieg wehren.-
Bertelsmann Verlag (€ 19,95)
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